Rückblick 84. Schweizer Immobiliengespräch

Am 84. Immobiliengespräch drehte sich die Debatte um den Einzelhandel in der City, erfolgreiche Quartierentwicklung und die Stadt von morgen. Im engagierten Austausch zwischen Wissenschaft und Vertretern aus der Praxis kristallisierten sich einige klare Thesen heraus.

 

Das neue Gleichgewicht zwischen Innenstädten und Umland

Strategieberater Thomas Sevcik, CEO von Arthesia, hinterfragte gleich zu Beginn einige Grundannahmen: So verbinden die meisten Leute mit dem Begriff «Stadt» zwar einen dichten Mix an Angeboten – Retailflächen, Gastronomie, Kultur und Verheissungen –, sichtbar etwa an all den Leuchtreklamen in grossen Städten wie Hongkong. «Die Realität der Stadt ist aber heute für die meisten Menschen eine andere», so Sevcik. Denn viele Leute wohnten gar nicht in den Kernstädten. Sevcik stellte die These der «Zwischenstadt» auf, in der sich künftig ausserhalb des Zentrums zunehmend gute und begehrte Lagen bilden – oft in ringförmiger Ausprägung. Sevcik vergleicht diese Dynamik, die sich beispielhaft an der Metropolitanregion Paris zeigt, mit einem Donut: «Der tatsächlich fette Teig wächst rundherum um die City.» Die Voraussetzung: «Die infrastrukturelle Anbindung muss stimmen, dann entwickeln sich auch kulturelle Hubs jenseits der Zentren», so Sevcik. In Zürich seien dies etwa Quartiere wie Oerlikon oder Altstetten: «Das ist der Ort für Co-Working, Co-Anything, Erlebnis-Shopping etc. Hier finden optimale Erreichbarkeit und neue Formen von Shopping, Wohnen und Arbeit zusammen.» Die Zwischenstadt bietet laut Sevcik «vielfältige neue Chancen», allerdings setze dies voraus, dass hybride Formen (Wohnen/Gewerbe/Industrie) zugelassen werden – was oftmals an allzu strengen Zonenordnungen scheitere. Um den Megatrend erfolgreich zu gestalten, müssen Funktionen wie Gewerbe, Arbeit, Wohnen oder Shopping neu gemischt werden können.

Quartier du Flon und Himmelrich

Gerhard Demmelmair, Leiter Portfolio und Transaktionen bei Mobimo, zeigte am Beispiel des Quartier du Flon in Lausanne, wie die Transformation eines lange Jahre hauptsächlich als Lager- und Warenumschlagplatz genutzten Stücks Stadt zum urbanen Stadtteil gelingen kann. Seit 2009, nach der Übernahme durch die Schweizer Immobiliengesellschaft Mobimo, entwickelt sich und dynamisiert sich das Quartier immer weiter. Wo früher ein Güterbahnhof die Szenerie prägte, ist inzwischen ein quirliges, lebendiges, gemischt genutztes Quartier entstanden, das sich durch seine klare Identität inmitten der Stadt Lausanne auszeichnet. Die Devise, der Mobimo bei der Entwicklung des Flon folgt: das Beste der Vergangenheit für die Gestaltung der Zukunft nutzen. Das Ergebnis ist die Verwandlung des Quartiers in ein neues Unterhaltungs-, Kreativitäts-, Arbeits- und Lebenszentrum. «Neue Mieter, Restaurants, Shops und Büros installieren sich im Flon und vermischen sich mit den alten und treuen Mietern», so Demmelmair. Hier sei konkret sichtbar, was an neuen Formen Sinn mache und funktioniere. Etwa mit der Idee von «Les Garages», mit kleinen, modular nutzbaren Flächen für Handwerksbetriebe, Künstler, Gewerbe etc. Das Quartier du Flon umfasst rund 90 Geschäfte sowie 28 Restaurants und Bars.

Über ein weiteres gelungenes Beispiel einer Quartierentwicklung berichtete Martin Buob. Der Geschäftsführer der Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern (ABL) schilderte die Geschichte der Neubausiedlung Himmelrich. Die ABL errichtet bis im Frühjahr 2023 nach den Plänen des Architekturbüros Enzmann Fischer Partner AG in der Luzerner Neustadt im Zuge von Ersatzneubauten 250 Wohnungen. Die erste Etappe mit 179 Wohnungen und 16 Gewerbe- respektive Gastrobetrieben und sozialen Institutionen im Erdgeschoss wurde im September 2019 abgeschlossen; seit Herbst 2019 sind die Bauarbeiten für die zweite Etappe entlang der Claridenstrasse im Gange. Voraussetzungen für den Erfolg des Projekts waren gemäss Martin Buob die intensive Begleitung des Prozesses, die hohe Identifikation der Genossenschaftsmitglieder und das grosse Engagement seitens der Gewerbebetriebe. In den Erdgeschossen entschied sich die Genossenschaft durchweg für Läden und Restaurants, die der Nahversorgung dienen. «Auf die Vermietung an Labels haben wir ganz bewusst verzichtet», so Buob.

Von Stadtflucht kann nicht die Rede sein

Professor Alain Thierstein, Inhaber des Lehrstuhls für Raumentwicklung an der TU München, stellte die Ergebnisse aktueller Potenzialanalysen für den Grossraum München vor – Ergebnisse, aus denen sich interessante Rückschlüsse auf zu erwartende Entwicklungen in ähnlich beliebten Grossstädten ziehen lassen. Denn klar ist: Wenn die Leute im Zuge des in der Pandemie in Mode gekommenen Homeoffice einen Grossteil der Woche nicht mehr im Büro, sondern zuhause arbeiten, verändert dies die Entwicklung der Wohnstandorte und des Gewerbes. «Die pauschale These, dass im Kontext der Pandemie nun alle aufs freie Land wollen, ist aber falsch», so Thierstein. Denn Grossstädte wie München – oder Zürich – zählten nach wie vor klar zu den Potenzialräumen, weil dort die Arbeitsmärkte und die Zentrumsfunktionen höchst attraktiv seien. Doch daneben ergebe sich mehr und mehr eine Landkarte mit einer polyzentralen Struktur. Im Fall München zählten zu den neuen «secondary cities» zum Beispiel Augsburg, Ingolstadt oder Donauwörth – und weniger die Städte im Süden der bayrischen Hauptstadt wie etwa Garmisch-Partenkirchen. Dies hänge nicht nur mit dem dortigen Preisniveau zusammen, sondern vor allem mit der «accessibility», einer guten Erreichbarkeit und nicht zuletzt mit einer schnellen Breitband-Internetverbindung.

Neue Allianzen gefragt

In der abschliessenden Podiumsdiskussion stellte Moderator Markus Schmidiger die Frage, ob zum Beispiel Eigentümer bereit seien, auf gewisse Einnahmen zu verzichten – um eben Stadt- und Quartierflächen gezielt kuratieren und bespielen zu können. Sevcik unterstützte diese These klar und fordert neue Berechnungs- und Mietzinsmodelle ¬– «die Zeit der fetten 10-Jahres-Mietverträge» sei vorbei. Spannung in die Debatte brachte am Schluss wieder Professor Thierstein: «Alle Projektentwickler und Investoren können sich ja nicht einfach die positiven Referenzbeispiele präsentieren lassen. Sie müssen nach den Entwicklungen fragen, die gescheitert sind.» Die Stadt sei ein öffentliches Gut – doch Stadtentwicklung keine Kunst, die man lernen könne, so Thierstein. Einig waren sich die Referenten darin, dass es künftig öfters nach dem Prinzip «trial and error» ablaufen wird – und dass man gerade auf die weniger gelungenen Projekte schauen muss, um aus den Fehlern zu lernen. Das heisst, auch «gescheiterte» Quartierentwicklungen zu analysieren – also solche, denen es aufgrund von Fehleinschätzungen bei der Planung an Urbanität und damit an Attraktivität für Wohn- wie Gewerbemieter mangelt. Ebenso lehrreich sind vielversprechende Entwicklungsprojekte, die den Baustart wegen politischer Hürden erst gar nicht erreichen. So kommt Thierstein zum Fazit: «Es braucht neue Allianzen. Weder die öffentliche Hand noch die Eigentümer können heute erfolgreiche Quartierentwicklungen herbeizaubern oder garantieren.»

 

Das kommende 85. Schweizer Immobiliengespräch findet am 15. März 2022 statt.

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