Rückblick 96. Schweizer Immobiliengespräch

Soll man trotz hoher Zinsen und Baukosten jetzt sanieren? Dieser Frage ging ein gut besetztes Immobilien-Panel in Zürich nach und kam zu dem Ergebnis: Die Gründe für die energetische Ertüchtigung des Bestands werden nicht weniger – ganz im Gegenteil. Ein «Gamechanger» wirft schon Schatten voraus.

96. Immobiliengespräch

Unter dem Titel «Hohe Zinsen, hohe Kosten» ging es bei den «Schweizer Immobiliengesprächen» diesmal um Sanierung. Die Transformation des Bestands scheint derzeit – anders als der Neubau – zu florieren. Das zeigen Zahlen, mit denen Moderator Christian Kraft von der Hochschule Luzern die Immobilien-Runde eröffnete: Für Sanierungsprojekte ist die Zahl der Baugesuche in den letzten Jahre stetig angestiegen, sie liegen heute 43% über dem Wert von vor zehn Jahren. Auf den Bestand gerechnet beträgt die Sanierungsquote bereits beachtliche 1,7%. Doch dass im Bereich Sanierung alles ideal läuft, geben diese Zahlen nicht unbedingt her. Professor Kraft weist darauf hin: Die durchschnittliche Bausumme ist merklich gesunken, es werden kleinere Massnahmen angegangen. Nicht auszuschliessen ist, dass die rege Sanierungstätigkeit zu einem Teil auch Aktionismus ist und rein dem regulatorischem Druck geschuldet. Auch gibt es ein schier unüberblickbares Dickicht aus Fördertöpfen.

Nachhaltigkeit als Service

Viele Immobilieneigentümer sind bei der Planung von energetischen Sanierungen überfordert. Dort setzte der erste Vortrag des Abends an. Clemens Högger, Leiter Marktbearbeitung bei Energie 360°, präsentierte Hilfestellungen. Nachhaltigkeit als Dienstleistung – so könnte man das zusammenfassen, womit sein Arbeitgeber, die frühere Gasversorgung Zürich, sich der Immobilienbranche anbietet. Die Stadt-Tochter will bei der Umstellung auf emissionsfreie Energie helfen und schnürt schweizweit Rundum-Sorglos-Pakete für Immobilieneigentümer. Högger verweist auf das Beispiel zweier Mehrfamilienhäuser in Olten, wo sein Unternehmen nicht nur Planung und Realisation einer Energiesanierung übernahm, sondern auch die Risiken. Vor allem aber bietet Energie 360° auch Lösungen für ganze Areale und im Verbund an – Stichwort Fernwärme, das die Erdgas-Infrastruktur Zürichs weitgehend ersetzen soll. Der Vorteil des Systems für den Gebäudeeigentümer liegt auf der Hand: Die Wärme kommt von draußen, Platz für Technik im Haus wird kaum gebraucht. Interessant für Immobilieneigentümer ist auch die Option, die Finanzierung als Service in Anspruch zu nehmen. Etwa im Rahmen eines Contracting-Modells: Der Dienstleister kümmert sich um alles, angefangen bei der Planung, der Immobilieneigentümer kauft einfach die fertige, emissionsfreie Energie. Mit deren Grundpreis werden alle Erstellungs- und Betriebskosten für die Energieinfrastruktur über die Laufzeit abdiskontiert, inklusive Risikozuschlag, Verzinsung und Abschreibung. Abgedeckt sind selbst Ersatzinvestitionen für ausgefallene Komponenten.

Högger wirbt dafür, Sanierung nicht als reinen Kostenpunkt zu fassen. Es handele sich um eine Investition, die – wie jede andere Investition auch – etwas abzuwerfen hat. Aus dem Munde eines Unternehmens, das in Sachen Nachhaltigkeit als Investor auftritt und selbst Risiken schultern muss, tönt dies nicht nach blosser Sonntagsrede. Und mit einer weiteren These versuchte Högger, den Immobilieneigentümern Mut zu machen: Der Mehrwert von Nachhaltigkeit sei an einer Immobilie messbar, sagte er, und zwar im Rahmen der Wertermittlung nach dem hedonischen Modell.

Substanz, nicht Etikett

Da kam der nächste Referent wie gerufen. Roman Ballmer, der stellvertretende CEO des Datenspezialisten Iazi AG, leitet dort den Bereich hedonische Bewertung. Die Frage, ob sich die Nachhaltigkeit einer Immobilie messen lasse, war bei ihm also in besten Händen. Und er räumte gleich mit einem naheliegenden Missverständnis auf. Anders als viele glaubten, sei Nachhaltigkeit kein Aspekt, der gesondert erst erhoben werden müsste. Vielmehr stecke sie immer schon in der Immobilienbewertung drin, und das seit Anbeginn des hedonischen Modells. Wer darin Nachhaltigkeit sucht, findet sie an diversen Stellen, zum Beispiel beim Faktor Mikrolage. Ist die Nähe einer Liegenschaft zum nächsten Spielplatz bei der Wertermittlung mit erfasst, ist es damit auch der Aspekt «Soziales» aus der Formel «ESG», so Ballmer. Ähnlich sei es mit der energetischen Nachhaltigkeit der Liegenschaft: Die hat schon per Sanierungsstand und Alter in die Wertberechnung Eingang gefunden. Die Nachhaltigkeit einer Immobilie hängt Ballmer zufolge also eng mit ihrem Wert zusammen, aber eben nicht so, wie viele sich das vorstellen. Und vor allem: Am Minergie-Label liegt es eher nicht. Der statistische Effekt der Zertifizierung beträgt laut Ballmer gerade einmal 1 bis 2 %. Er erklärt das so: Die bessere Energieeffizienz ist das Werk guter Gebäudesubstanz, nicht eines Etiketts. Und weil die Standards für Gebäude allgemein steigen, lässt der Effekt des Labels eher nach. Interessant auch Ballmer nächste Erkenntnis: Der Werteffekt des Gebäudezustands ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Soll heissen, die Käufer haben dem Aspekt der Nachhaltigkeit 2023 weniger Bedeutung beigemessen als noch 2015. Das lag am Anlagenotstand, die Investoren suchen Rendite, und dabei verlor der Sanierungsstau bei Immobilien abschreckende Wirkung. Ballmers Daten zeigen sogar: Die eher schlecht sanierten Objekte sind stärker überzahlt worden als andere Immobilien.

Eine Bestätigung für Sanierungsverweigerer? So wollte Ballmer diesen Blick in den Rückspiegel nicht verstanden wissen. Käufer mögen sich zuletzt recht schmerzfrei gezeigt haben, wenn es um suboptimale Energieeffizienz ging, aber keineswegs ist garantiert, dass dies so bleibt. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage kann sich ändern. Und das Energie-Update dient auch dem Werterhalt und Wohnkomfort, ermöglicht somit höhere Mietpreise und kann für geringere Kosten sorgen. Der wichtigste Aspekt ist für Ballmer aber der: Wer weiss, was die Politik in Sachen Regulierung noch im Köcher hat? Kommt vielleicht eine CO2-Penalty? Es gibt viele grosse Unbekannte – und wer nicht vorsorgt, den bestraft bekanntlich gern das Leben. Womit wir schon beim nächsten Vortrag wären. Darin klang dieses Thema nämlich wieder an.

Gamechanger auf der Finanzierungsseite

Den Abschluss der Referate machte Bernd Geisenberger, der Leiter des Firmenkundengeschäfts bei der Migros Bank. Er versuchte, einen Einblick ins Innere der «Black Box Bank» zu geben. Das war hochinteressant, denn hinter den Kulissen tut sich in der Bankenwelt gerade einiges. Die Zinswende dürften alle mitbekommen haben, und auch die Vorboten von Basel 3 machen sich schon bemerkbar, obwohl die neuen Eigenkapitalvorschriften erst im neuen Jahr in Kraft treten. Es gibt aber noch eine weitere, womöglich folgenreiche Entwicklung: Das «Carbon-Accounting» für die Banken kommt. Der Regulator will die Institute verpflichten, bei Kreditvergaben auch auf Emissionen zu schauen. Über die Anrechnung derselben nach «Scope 3» wird der CO2-Footprint jeder finanzierten Liegenschaft für die Bank zu einer relevanten Grösse im Geschäft. «Das ist ein Gamechanger, und das ist vom Regulator so gewollt», sagte Geisenberger. Die gute Nachricht für die Immobilienbranche lautet höchstens: Der Prozess steht erst am Anfang, viele Fragen bleiben vorerst offen. Aber der Banker warnt davor, auf Zeit zu spielen. Früher oder später werden die neuen Regeln auch den Bestand betreffen. Nicht nachhaltige Immobilien könnten unter diesen Vorzeichen einen Aufpreis zahlen müssen – wenn es überhaupt noch für die Bank opportun ist, sie zu finanzieren.

Bereits die Implementierung von Basel 3 zeigt: Die Ressource Finanzierung wird knapper, und das selbstgenutzte Wohnen ist – vom Regulierer bevorzugt – klar im Vorteil. «Die Finanzierung von Renditeimmobilien steht damit im Wettbewerb zur Finanzierung von selbstgenutztem Wohnen», sagt Geisenberger, Finanzierungen werden sich möglicherweise einer Due Diligence in puncto Nachhaltigkeit stellen müssen. Das könnte die Banken, die bekanntlich viel auf verlässliche Kundenbeziehungen geben, vor manch schwierige Entscheidung stellen. Schon jetzt macht sich bemerkbar, dass sich die Banken individuelle Wege durchs neu geformte Terrain suchen müssen. «Wundern Sie sich nicht, wenn sie in den nächsten Monaten größere Zinsunterschiede zwischen den Banken feststellen», sagt Geisenberger. Die Zeit der ähnlichen Konditionen, die man in den vergangenen Jahren erlebt habe, sei vorbei, die Angebote werden breiter. «Genauso breit wird das Angebot sein, wenn es später um Thema Nachhaltigkeit geht». Noch hält sich der Anpassungsdruck in Grenzen. Die unmittelbare Verteuerungen der Kredite durch Basel 3 könnte durch einen Zinsschritt nach unten egalisiert werden, glaubt Geisenberger. Aber man sei gut beraten, sich auf ganz neue Szenarien einzustellen. Sein Rat: «Selbst wenn Sie nicht motiviert wären, sich dem Thema Nachhaltigkeit zu nähern – allein aus einer finanzwirtschaftlicher Perspektive würde es Sinn machen». (aw)

Impressionen

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