Rückblick 93. Schweizer Immobiliengespräch

In der Ostschweiz gelingt eine Art der Wertschöpfung, die schon abgewandert schien. Als Wohnstandort konkurriert die Region inzwischen auch mit Zürich, und die Immobilienakteure lassen sich Produkte einfallen, die auf der Höhe der Zeit sind. Das waren Erkenntnisse, die die Teilnehmer des jüngsten Talks von Immobilien Business mit nach Hause nahmen.

Das 93. Schweizer Immobiliengespräch zum Thema «Hotspot Ostschweiz» fand in Sulgen statt, einer Thurgauer Gemeinde von 3.500 Einwohnern. Es war ein ungewöhnlicher Veranstaltungsort für einen Immobilien-Talk. Aber in der Ostschweiz geschehen eben aussergewöhnliche Dinge, und das wurde in Sulgen exemplarisch deutlich. Zwischen Kreuzlingen und St. Gallen ist eine Art der Wertschöpfung entstanden, die nicht ins Bild der industriellen Logik unserer Zeit zu passen scheint. Kühlschränke werden neuerdings dort gebaut. Viele dachten, die Zeit solcher Produktion in der Schweiz sei abgelaufen. Aber V-Zug hat mit dieser innovativen Produktionsimmobilie dem industriellen Abwanderungstrend etwas entgegengesetzt. Das Werk verfügt über hohe Flächeneffizienz und ist CO²-neutral – dank Photovoltaik, Grundwassernutzung und Wärmepumpe.

Sieben Länder waren als Standort für die Fabrik geprüft worden. Dass am Ende die Wahl auf die Ostschweiz fiel, war keine Frage von Patriotismus. Bei einem Invest in der Grössenordnung von über 70 Millionen Franken gaben harte Fakten den Ausschlag. „Bei V-Zug kann man sehr gut rechnen“, sagte Andreas Albrecht, Geschäftsführer der Kühltechniksparte. Die Politik handelte entschlossen und tat das ihre, um die Ansiedlung möglich zu machen: Nur drei Monate brauchten Gemeinde und Kanton für die Umzonung. Es fand ein Industrieland-Abtausch mit einer Landwirtschaftszone statt, und bald konnte V-Zug schon anfangen zu bauen.

Die Ostschweiz hat in den letzten Jahren eine «Erfolgsstory» geschrieben, wie es Moderator Michael Trübestein formulierte. Der Professor für Immobilienwirtschaft an der Uni Luzern stellte auf dem «Immobiliengespräch» die Frage in den Raum: Was macht die Ostschweiz richtig, was macht sie vielleicht sogar besser als der Rest der Schweiz? Eine simple Antwort kam dabei am Ende nicht heraus, es ist wohl eine Reihe von Faktoren, die zu nennen wären. Weitsichtige Infrastrukturmassnahmen zum Beispiel, die tieferen Immobilienpreise haben zur Entwicklung ebenfalls beigetragen, und neuerdings spielen der Ostschweiz auch grosse Megatrends in die Karten, etwa Homeoffice. «Viele, die in Zürich arbeiten, haben ihren Suchradius erweitert«, sagte Robert Weinert, Head of Immo-Monitoring bei Wüest Partner. Wenn man nur noch zwei oder drei Tage die Woche pendeln muss, sind die tieferen Mietpreise in der Ostschweiz ein schlagendes Argument. Vor allem im Kanton St. Gallen hat Wüest Partner eine stark gewachsene Wohn-Nachfrage aus dem Inland festgestellt.

Doch die Ostschweiz ist immer noch ein Mietermarkt. Das sagte Michael Breitenmoser, Leiter Immobilienentwicklung Ost der HRS. Und der Markt ist im Vergleich zu den grossen Städten wie Zürich immer noch kleinteilig geprägt. Ein Unternehmen wie die HRS, die auf grosse Projekte setzt, muss sich also etwas einfallen lassen, um grosse Volumina am Markt zu platzieren. Breitenmoser führte vor, wie das geht. Bei der Konzeption an die verschiedensten Nutzergruppen zu denken, sei ein zentrales Element, von jungen Singles über Familien auch Senioren, und sowohl Mieter als auch Eigentümer. Ausserdem setzt man auf innovative Ideen, beim Projekt «Neuhus» in Rorschacherberg zum Beispiel auf die Infrastrukturgenossenschaft, ein Wohnkonzept, das den Nutzern Mehrwert durch gelebtes Miteinander bieten will. Kerngedanke des Modells, das zusammen mit «Urban Psychologist» Alice Hollenstein erarbeitet wurde: Stockwerkeigentümer und der Investor von Mietwohnungen organisieren sich gemeinsam zum Unterhalt des Betriebs und der Quartiersinfrastruktur, die Nutzer des Quartiers erhalten Zugang zu gemeinschaftlichen Flächen, Büroräumen und Gäste-Übernachtungsmöglichkeiten.

Auf Qualität zu setzen und die Belange der Öffentlichkeit zu berücksichtigen, sei Teil der Erfolgsstrategie geworden, sagte Breitenmoser. Investoren, die so denken, bieten sich durch die kluge Gesetzgebung des Kantons St. Gallen neue Wege für Verdichtungsstrategien. Die HRS versucht, diese Chance zu nutzen, z.B. mit dem 70 Meter hohen Hochhaus «Chez Fritz» in Buchs, dessen Planung durch eine Schwerpunktzone ermöglicht wurde. Dieses Instrument gibt es seit dem ersten Nachtrag des kantonalen Planungs- und Baugesetzes, und weitere Chancen sieht Breitenmoser durch den zweiten Nachtrag. Der wurde im Herbst verabschiedet und ermöglicht grosszügige Ausnahmen bei Sondernutzungsplänen, indem sie fakultativen Referenden unterstellt werden. Projektentwickler müssen offenbar umdenken und Referenden als Chance begreifen, dem Vorhaben eine hohe Legitimation zu verschaffen.

Die Ostschweiz, der gelegentlich das Image der Provinz anhaftet, ist nicht hintendran – die Agilität der politischen Institutionen und die Innovationskraft der Akteure vermitteln ein anderes Bild. Die Ostschweiz ist allerdings auch nicht abgekoppelt vom grossen wirtschaftlichen Gefüge der Schweiz und Europas, und so ging es auf dem Talk in Sulgen auch um die übergreifenden Themen. Natürlich hängt auch für die Akteure in der Ostschweiz vieles an der Frage, wie es mit den Zinsen weitergeht. Robert Weinert äusserte dazu eine klare Meinung: Er glaubt nicht, dass es mit den Zinserhöhungen schon dieses Jahr ein Ende haben wird. Für ihn deutet alles darauf hin, dass noch ein, zwei Zinsschritte folgen – allerdings mit schwächerer Dynamik. Und daran anschliessend, die nicht minder spannende Frage, die von Trübestein in der Panel-Diskussion gestellt wurde: Sind Wohneigentumspreise mit Blick aufs Zinsniveau zu hoch? Marktexperte Weinert glaubt nicht an eine massive Überbewertung, er verweist darauf, dass die Nachfrage keineswegs verschwunden sei. Oft sei sie jetzt konkreter. Breitenmoser sieht es ähnlich: Bei den Eigentumsprojekten der HRS in der Ostschweiz würden zwar weniger Interessenten vorstellig, aber diejenigen, die kämen, seien oft bereits entschieden. Bei den Investoren sieht er mehr Zurückhaltung in den früheren Projektphasen, aber wenn die Liegenschaften fertig entwickelt seien, fänden sich immer noch Käufer. Die kommen gelegentlich auch von weiter weg – die höheren Renditen in der Ostschweiz locken sie an. Bei den Preisen etwas hintendran zu sein – das hat sich immer wieder auch als Vorteil herausgestellt.

Das nächste Immobiliengespräch findet am 19. September 2023 in Zürich statt.

(Visited 617 times, 1 visits today)

Weitere Beiträge zum Thema