Waldstadt im Berner Bremgartenwald

Im Berner Bremgartenwald wollen Initianten eine Waldstadt für bis zu 8.000 Einwohner bauen. Die Idee sorgt für hitzige Diskussionen, ist sie doch mit der Rodung von Wald verbunden.

Das orange eingefärbte Stück des Bremgartenwaldes soll in Etappen überbaut werden. Doch der Widerstand in Bern ist gross.
Das orange eingefärbte Stück des Bremgartenwaldes soll in Etappen überbaut werden. Doch der Widerstand in Bern ist gross.

Das schweizerische Waldgesetz ist bezüglich Rodungen klipp und klar: «Rodungen sind verboten». Eine Ausnahmebewilligung darf nur erteilt werden, wenn der Gesuchsteller nachweist, dass für die Rodung wichtige Gründe bestehen, die das Interesse an der Walderhaltung überwiegen und zudem die folgenden Voraussetzungen erfüllen: Das Werk, für das gerodet werden soll, muss auf den vorgesehenen Standort angewiesen sein; das Werk muss zudem die Voraussetzungen der Raumplanung sachlich erfüllen und die Rodung darf zu keiner erheblichen Gefährdung der Umwelt führen. Nicht als wichtige Gründe gelten laut Waldgesetz finanzielle Interessen, wie die möglichst einträgliche Nutzung des Bodens oder die billige Beschaffung von Land für nichtforstliche Zwecke. Die Gesetzeslage ist also klar. Und trotzdem soll in Bern ein Stück Wald einer Wohnüberbauung für rund 8.000 Personen weichen – eine Idee, die provoziert und an einem Tabu rüttelt.

Fünf Prozent der Waldfläche

Für die Stadterweiterung geopfert werden müsste ein Stück des Bremgartenwaldes, das sich am Rande der Stadt am Ende des Länggassquartiers unmittelbar neben der Autobahn befindet. Die zu rodende Fläche beträgt zwar nur rund fünf Prozent des grossen städtischen Waldes, doch jeder Baum, der gefällt werden soll, erregt bereits jetzt die Gemüter. Denn «Wald weckt Emotionen», sagte Planer und Mitinitiant Peter Jakob vom Architekturbüro bauart an einer Podiumsdiskussion. Er wisse, dass es hohe Hürden zu überwinden gelte, wenn das Projekt realisiert werden soll. Am Rodungsverbot wollen die Initianten daher auch gar nicht rütteln. Stand am Anfang der Planung noch eine Änderung des Waldgesetzes im Vordergrund, geht es heute um eine Sonderbewilligung, die für das Projekt nötig ist – etwa für Infrastrukturbauten wie Energiezentralen und -verteiler. Dafür müssen die Initianten aber gemäss Waldgesetz nachweisen, dass ihr Projekt standortgebunden ist und nur genau dort Sinn macht. Jakob ist überzeugt, dass eine Ausnahmebewilligung an diesem Ort möglich ist, da das vorgesehene Waldstück aufgrund der Nähe zur Autobahn und zur gegenwärtigen Siedlungsgrenze bereits stark entwertet sei. Ein Stück Wald, wie man es in ländlichen Gegenden antrifft, ist es mit Sicherheit nicht. Doch ob das reicht, um ein grosses zusammenhängendes Stück daraus zu roden, ist sehr umstritten.

Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass der Name Waldstadt nicht ganz der Realität entspricht. Eine Stadt umgeben von Wald ist nicht vorgesehen. Es wird vielmehr darum gehen, den Bremgartenwald zu verkleinern und die Siedlungsfläche der Stadt über eine Autobahnüberdeckung Richtung Nordwesten zu vergrössern – dies in einer Zeit notabene, in welcher durch die Revision des Raumplanungsgesetzes die Verdichtung der Städte gegen innen verlangt wird und das Bauen auf der grünen Wiese eingeschränkt werden soll. Die Gegner des Projekts führen an, dass in der Region Bern gegenwärtig weiteres Bauland eingezont werde, was die Zersiedelung immer noch fördere: Da brauche es die Waldstadt nicht. Zudem kämpfen sie dafür, dass der Waldstreifen als Naherholungsgebiet erhalten bleibt. Unter Führung der SVP haben sie eine Volksinitiative eingereicht, über welche voraussichtlich 2014 abgestimmt wird. Das Volk soll einen Grundsatzentscheid darüber fällen, ob weiter an einer Waldstadt geplant werden soll oder nicht. Die Gegner plädieren zudem für eine Stadterweiterung nicht am Rand der Länggasse, sondern im Westen: In Brünnen-Süd könne mehr Wohnraum realisiert werden und ein Grossteil der Infrastruktur bestehe bereits. Doch die Initianten halten an ihrer Idee fest. Grosse Arbeitgeber wie die Universität oder das Inselspital befänden sich in unmittelbarer Nähe der Waldstadt, was die Pendlerströme reduziere. Das sei sowohl ökonomisch als auch ökologisch sinnvoll. «Wenn dort 8.000 Menschen leben können und in der Stadt arbeiten, muss für 8.000 Pendler weniger Infrastruktur bereitgestellt werden», argumentiert Jakob. Deshalb mache eine Erweiterung der Stadt in diesem Gebiet Sinn.

Trendwende in Sicht?

Die Berner Diskussion zeigt auf, dass sich eine Trendwende in Bezug auf den zukünftigen Umgang mit der Siedlungsausdehnung in das Waldgebiet ergeben könnte. Die Waldstadt scheint zu einem Präjudiz zu werden und könnte einen Dammbruch bewirken. Zwar befürworten die Initianten die hohen Hürden für Ausnahmebewilligungen bei Rodungen, doch das Fanal leuchtet bereits in andere Landesteile und wird über kurz oder lang auf dem politischen Parkett landen. Eine Lockerung der strengen Rodungsregeln steht indes im krassen Gegensatz zu den raumplanerischen Zielen der Schweiz, die in den letzten Jahren kontrovers diskutiert wurden und zur Annahme des neuen Raumplanungsgesetzes anfangs Jahr führten. Wenn es künftig möglich wird, leichter zu Ausnahmebewilligungen zu kommen, ist der Schritt zu Wohn- und Businessparks mitten im Wald nur noch ein kleiner. Eine ähnliche Idee wie in Bern lancierten im Mai dieses Jahres Initianten im Kanton Schaffhausen: Sie schlagen vor, für eine Waldstadt mit Gewerbeanteil Staatswald zu roden und in der Nähe von Autobahnzufahrten Arbeitsplätze zu schaffen. Wirtschaftsförderer Thomas Holenstein fordert, dass die Stadt ein Gebiet von rund einem Quadratkilometer neu einzont. Dadurch entstünde Wohnraum, der bereits gut erschlossen ist. Gleichzeitig könnte durch den Verkaufserlös von etwa einer Milliarde Franken «der Wohlstand einer ganzen Generation im Kanton gesichert werden », erklärte Holenstein gegenüber Fernsehen SRF. Mit dem Geld würde man nicht nur wichtige Investitionen tätigen, sondern auch jene Landgemeinden entschädigen, die ihrerseits Bauzonen abgeben müssten. Beim Jahresgespräch der Schaffhauser Wirtschaftsförderung stiess Holenstein bei Giorgio Behr, Unternehmer und Präsident der Industrievereinigung Schaffhausen, auf offene Ohren. Behr selbst hält die Errichtung einer kompakten «Waldstadt» am Stadtrand von Schaffhausen für die sinnvollste Idee einer Neueinzonung. Keinen Support erhalten Holenstein und Behr vom Kanton: Der bürgerliche Bau- und Forstdirektor Reto Dubach macht klar, dass die Vision keine Chance auf eine Realisierung hat. Der Hauptgrund: Das Bundesgesetz verbiete solche Waldrodungen.

Die Waldstadt könnte die Infrastruktur des angrenzenden Länggassquartiers nutzen.
Die Waldstadt könnte die Infrastruktur des angrenzenden Länggassquartiers nutzen.

Diskussion lancieren

Die Befürworter der Waldstädte sehen das anders. Es müsse eine Diskussion darüber stattfinden, wie lange weiterhin Kulturland verbraucht werden könne, während der Wald strikt geschützt sei. Da bestünden verschiedene Rechtsauffassungen. Auch für den Zürcher alt Stadtpräsidenten Josef Estermann, der im Beirat des Berner Waldstadt-Projektes sitzt, ist laut «Der Bund» das Waldgesetz nicht höher zu werten als das Raumplanungs- oder Umweltrecht. Ferner lasse es Ausnahmen zu, wenn sich ein Standort als deutlich besser erweise als alle andern. Fazit: Die Debatte ist lanciert und wichtig für die ganze Schweiz. Sie wirft folgende Fragen auf: Wann soll zum Bauen Wald gerodet werden dürfen? Gilt der Verdichtungszwang weiterhin oder opfern wir ausserhalb der Zentren Kulturland oder Wald?

Rechtlich kaum durchsetzbar

Mit einem Rechtsgutachten der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung wurde im Auftrag des Kantons Zürich abgeklärt, ob Waldrodungen für Wohnungen juristisch durchsetzbar sind. Die Autoren kommen zum Schluss, dass dies nicht möglich ist. Das heisst, das nationale Waldgesetz müsste angepasst werden. Doch dafür lasse sich gegenwärtig kaum eine Mehrheit finden. Für ein mögliches neues Quartier im Bremgartenwald sieht es für die Stadt Bern darum eher düster aus. Laut dem Rechtsgutachten darf Wald nur bei überwiegendem Interesse gerodet werden. Dieses sei aber in Bern nicht gegeben. In Bern sei zudem ein grosses Potenzial für verdichtetes Wohnen vorhanden und für Wohnraum biete sich das Gebiet Brünnen im Westen der Stadt an.

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