Rückblick 90. Schweizer Immobiliengespräch

Wohnraum ist in der Schweiz Mangelware. Vor diesem Hintergrund drehte sich das jüngste Immobiliengespräch um die Frage, ob regulatorische Vorgaben den Neubau von Wohnungen ausbremsen und damit eine Wohnungsnot verursachen.

 

Wie viel Regulierung braucht der Markt?
Noch gibt es Platz in der Schweiz. Doch pro Jahr wächst die Bevölkerung um rund ein Prozent. Derzeit zählen laut Bundesamt für Statistik rund 8,8 Millionen Menschen zur ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz. Rund 1,5 Millionen Personen wohnen im Kanton Zürich. Der Begriff Verdichtung ist daher längst in aller Munde.

Schweizer Immobiliengespräche

Doch wo viele Menschen auf engem Raum leben, werden auch Befindlichkeiten geweckt. Um dennoch das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum nutzen zu können, und gleichzeitig die hohe Standort- und Lebensqualität im Kanton Zürich weiterzuentwickeln, werden Regulierungen eingeführt. Ortsbild -, Lärm- und Mieterschutz sollen ebenso ein massvolles Miteinander gewährleisten, wie ein Einzonungsstopp, Mehrwertabgaben und Aufzonungen.

Aber verursacht die kumulierte Regulierung eine Wohnungsnot? Und wo könnten oder sollten wir lockern und wo nachbessern? Über diese Fragen diskutierten am 90. Immobiliengespräch in Zürich drei Expertinnen und Experten und präsentieren ihre Erfahrungen und Lösungsansätze. Durch den Abend im Zürcher “Metropol”, an dem rund 100 Personen teilnahmen, führte Christian Kraft von der Hochschule Luzern.

Bewilligungen auf tiefem Stand
“Das Bevölkerungswachstum ist im Moment enorm”, führte er die Zuhörer in das Thema ein und verdeutlichte dies an den Zahlen der langfristigen Raumentwicklungsstrategie des Kantons Zürich aus dem Jahr 2014: Demnach erwartete der Kanton bis im Jahr 2040 280.000 zusätzliche Personen, von denen 80 Prozent im urbanen Raum leben sollen. 140 000 Personen sind bereits zugewandert. “Damit sind 50 Prozent der Prognose schon jetzt eingetroffen”, sagte Kraft.

Die zusätzlichen Personen benötigen natürlich Raum zum Wohnen. Allerdings wächst laut Kraft auch die durchschnittliche Dauer für die Bewilligung von Neubauten kontinuierlich. “Die Anzahl der baubewilligten Mietwohnung ist derzeit auf dem tiefsten Stand der vergangenen zehn Jahre”, führte Kraft weiter aus. Ohne die 250.000 Mietwohnungen, welche Institutionelle Eigentümer und Immobilienunternehmen in den letzten 20 Jahren für mehr als 500.000 Menschen in der Schweiz gebaut haben, gäbe es schon lange eine Wohnungsnot.

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Wohin steuert der Markt
Mit den Fragen, was sich verändert hat und wohin der Markt steuert, wendete sich Kraft an den ersten Redner, Robert Weinert, Partner und Head of Immo-Monitoring der Wüest Partner AG, zu dessen Spezialgebieten Marktanalysen, Planung und Bewertung zählen.

Robert Weinert sprach von Wohnungsknappheit. Der Begriff der Wohnungsnot treffe aufgrund der Qualität der Wohnungen derzeit nicht zu. Die Wohnungsknappheit führt er auf die gesunkene und derzeit stagnierende Anzahl Baugesuche zurück. “Aufgrund der gestiegenen Zinsen und der Finanzierung, haben viele Bauherren ihr Bauvorhaben verschoben oder gestrichen”, sagte Weinert. Doch auch die Anzahl Baubewilligungen ist stark rückläufig. Diese seien aufgrund vieler Einsprachen und aus rechtlichen Gründen kaum erteilt worden. Während das Angebot an Wohnungen dadurch sinkt, steigt die Nachfrage im Gegenzug weiter. Verstärkt werde diese Tendenz, da immer mehr ältere Leute länger in ihren Wohnungen leben und auch die Jüngeren wohnen häufiger in Ein- oder Zwei-Personen-Haushalten.

Auch wenn saisonal wieder mehr Wohnungen angeboten werden, ist das Mietwohnungsangebot, laut Weinert, kontinuierlich rückläufig. Für den Mieter habe das die Konsequenz, dass bei einem Wohnungsmangel die Angebotsmieten stark steigen. Im Jahr 2023 bereits um rund drei Prozent. “Auch die Bestandsmieten werden steigen”, prognostiziert Weinert.

Gründe für den Wohnungsmangel lieferte Weinert am Beispiel Graubünden, wo es besonders schwierig sei, eine Wohnung zu finden. Dies hänge mit der Zweitwohnungssteuer zusammen, welche Auswirkungen auf den Mietwohnungsbau habe. “In den Gemeinden werden weniger Mietwohnungen gebaut”, sagt Weinert. Viele Personen würden jedoch in den touristischen Gebieten Wohnungen als Zweitwohnsitz mieten, da dort kaum noch Eigentumswohnungen angeboten werden. “Damit werden wiederum den einheimischen Mietern die Wohnungen entzogen”, erklärte Weinert.

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Wohnkostenbelastung steigt
Konfrontiert mit einem starken Mangel an Wohnungen sei auch das Gebiet Zürich sowie die Städte Genf und Lausanne. Das habe wiederum Auswirkungen auf die Mieten und damit auf die Wohnkostenbelastung, die immer grösser werde und derzeit, am Einkommen gemessen, bei 28 Prozent liege.
Anders als bei den Mietwohnungen sehe es beim Wohneigentum aus. “Hier scheint sich die Lage zu entspannen”, sagt Weinert. Das hänge damit zusammen, dass mehr Objekte auf dem Markt seien und es länger dauere, bis ein Interessent gefunden ist.

Moderator Christian Kraft fasste schliesslich zusammen: “Da der Nachfragewachstum stärker ist als der Bevölkerungswachstum bei gleichzeitig tiefem Planungsstand wächst also der Druck auf die Städte. Doch wie schaffen wir den Platz in den Städten?” Diese Frage stellte Kraft dem nächsten Redner, Nicola Haas, Mitglied der Geschäftsleitung von Refolio Real Estate, einem auf Architektur, Projektentwicklung und Portfoliomanagement ausgerichtetes Beratungsunternehmen.

Nicola Haas fokussierte in seinem Vortrag auf den Mehrwertausgleich auf Planungsmehrwerte und stellte die sogenannte “Bausteuer” für die Verdichtung in Frage. Doch was genau ist der Mehrwertausgleich überhaupt? “Dabei handelt es sich um seine staatliche Abgabe auf den Mehrwert eines Grundstückes, der durch eine Plangungsmassnahme entsteht, wie zum Beispiel eine BZO-Revision mit Einzonung, Aufzonung oder Umzonung.

Den Abgabesatz auf den Mehrwert können die Gemeinden zwischen 20 und 40 Prozent festlegen. Erhoben wird der Mehrwertausgleich dann in einem zweistufigen Verfahren. Nach Inkrafttreten der BZO-Revision erfolgt zuerst eine individuelle Festsetzungsverfügung an die Grundstückeigentümer. Damit ist der Mehrwertausgleich fixiert. “Wird die Baufreigabe erteilt und das Grundstück überbaut, wird in einem zweiten Schritt innerhalb von 30 Tagen die Bezugsverfügung fällig”, sagt Haas. Einzige Ausnahme bilden geringfügige bauliche Massnahmen, wie Sanierungen oder Erweiterungen eines bestehenden Gebäudes um weniger als 100 Quadratmeter anrechenbarer Geschossfläche. Zwischen den beiden Phasen können Jahre vergehen.

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Auswirkung auf die Verdichtung
Als nächstes widmete sich Haas der Frage, wie sich der Mehrwertausgleich auf die Verdichtung auswirkt. Er betonte: “Es gibt nur Tendenzen, wohin die Reise geht. Ich kann also keine absoluten Wahrheiten verkünden.” Welchen Effekt das Gesetzt habe, werde man erst in den nächsten Jahren sehen.

Haas ist allerdings der Meinung, dass der Mehrwertausgleich statt einer Verdichtung eher einen gegenteiligen Effekt bewirke. So müsse generell eine hohe Liquidität für ein Bauprojekt zur Verfügung stehen, damit dieses zu stemmen ist. “Mit dem Mehrwertausgleich wird die Finanzierbarkeit nicht leichter”, sagt er. Im Gegenteil: “Der Mehrwertausgleich besteuert nicht realisierte Kapitalgewinne und wie soll man einen Kapitalgewinn bezahlen, der keine Liquidität bringt”, erläutert Haas. Für gewisse Eigentümerschaften erschwere dies sogar die Realisierung eines Projekts oder schliesse sie gar aus.

In der Tendenz wirke laut Haas der Mehrwertausgleich gegen die innere Verdichtung, da er in gewissen Fällen die Finanzierbarkeit von Bauprojekten mit Flächenerweiterung erschwere, wogegen der Mehrwertausgleich Bauprojekte ohne Flächenausweitung nicht tangiert. Hinzu käme, dass der Mehrwertausgleich die ökonomische Attraktivität der Konsumierung von Ausnützungsreserven gegenüber alternativen Investments verschlechtere.

Aus der Perspektive einer Stadt
Aus einer anderen Perspektive beleuchtete schliesslich Barbara Thalmann, Stadtpräsidentin von Uster das Thema. Sie muss tagtäglich aus der Sicht der Stadt Lösungen mit der Eigentümerschaft, Baufirmen sowie der Bevölkerung finden. “Derzeit zählt Uster 36.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Die Stadt muss sich aber auf ein Wachstum von 20 bis 25 Prozent ausrichten”, sagte sie. Das sei eine Herausforderung, doch habe sich die Stadt auf den Weg gemacht, dieses Ziel vorzubereiten und zu erreichen.

“Dazu haben wir ein Stadtentwicklungskonzept initiiert und die Frage gestellt, wie sich die Stadt unter dem Perimeter Verdichtung entwickeln soll”, sagte die Stadtpräsidentin. Nicht nur bauliche Themen seien dabei relevant, sondern auch die Mobilität und wie man die Qualität, Grünflächen und die Historie der Stadt erhalten kann.

Auch in Zukunft sollen in Uster Menschen wohnen und arbeiten können. Dazu seien Regulierungen und Gesetze nötig, welche die Stadt mittels der Bau- und Zonenordnung (BZO) und Gestaltungsplänen festlegen könne.

Der Mehrwertausgleich sei auch in Uster diskutiert worden und wurde schliesslich bei 30 Prozent festgesetzt. “Erst einmal lag uns ein Gestaltungsplan einer privaten Bauherrschaft für ein Industrieareal vor, der nach dem Mehrwertabgabegesetz gemacht und durchgespielt wurde”, sagte Thalmann. Mit der Bauherrschaft habe man sich geeinigt, dass diese nicht bezahlen muss. Stattdessen verpflichtet sie sich dazu, Arbeitsplätze zu erstellen oder gemeinnützige Wohnungen.

Thalmann erachtet es als sinnvoller, den Mehrwert statt mit Geld mit einem Mehrwert für das Areal selbst abzugelten. Wie zum Beispiel der Grünraumgestaltung. Wie man mit dem Thema umgehe, brauche jedoch etwas Praxis und müsse jede Gemeinde für sich entscheiden.

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Im Dialog bleiben
“Jedes Bauprojekt unterliegt einem grösseren Prozess”, sagte Thalmann. Doch auch auf den Bauämtern fehle es an Fachpersonen, um die Baubewilligungen abzuarbeiten. “Früher waren die Baubewilligungen noch dünne Hefte, heute sind es dicke Bücher, denn man muss sehr viel berücksichtigen und beachten”, erklärt die Stadtpräsidentin. Komme dann noch der Kanton ins Spiel, dauere es oft noch länger.

Regulierung sei ein Reizwort, da verschiedene Interessen aufeinandertreffen. Doch man versuche damit, einen schlechten Zustand zu verbessern. Dazu gehöre die Lärmreduktion ebenso wie der Ortsbild- oder Denkmalschutz. Denn es sei wichtig, dass ein Ort Identität gibt, sagt Thalmann und fügt zum Schluss an: “Wichtig ist, dass man im Gespräch bleibt, denn es gibt immer wieder Lösungen. Allerdings müssen beide Seiten gewillt sein, eine solche zu finden.”

 

Das 91. Immobiliengespräch findet am 27. April 2023 in Lausanne statt.

 

 

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